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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 22.11.2000
Aktenzeichen: 3Z BR 345/00
Rechtsgebiete: BGB, KostO


Vorschriften:

BGB § 1967 Abs. 2
BGB § 2132 Abs. 1
KostO § 107
Ist im Erbscheinserteilungsverfahren der Geschäftswert festzusetzen, so sind Pflichtteilsverbindlichkeiten auch dann abzuziehen, wenn der Pflichtteil wahrscheinlich nicht geltend gemacht wird (hier: Pflichtteilsstrafklausel).
BayObLG Beschluss

LG Bayreuth 15 T 119/00; AG Bayreuth VI 2122/99

3Z BR 345/00

22.11.00

BayObLGZ 2000 Nr. 70

Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Fuchs und Dr. Denk am 22. November 2000 in der Kostensache weiterer Beteiligter: Freistaat Bayern (Staatskasse), vertreten durch den Bezirksrevisor bei dem Landgericht Bayreuth, auf die Geschäftswertbeschwerde des weiteren Beteiligten

beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Bayreuth vom 29. September 2000 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Erblasser hinterließ seine Ehefrau, die Beteiligte, und zwei Kinder. Das gemeinschaftliche Testament, in dem die Eheleute sich gegenseitig zu Erben und ihre gemeinsamen Kinder zu Schlußerben eingesetzt haben, lautet unter anderem wie folgt:

"Verlangt ein Kind den Pflichtteil, so geht sein Erbteil auf die Miterben über, u. es soll auch den überlebenden Elternteil nicht beerben, sondern auch aus dessen Nachlaß nur den Pflichtteil erhalten. Verlangen alle Kinder den Pflichtteil, soll alleiniger Erbe der Überlebende von uns ohne Beschränkungen sein."

Antragsgemäß erteilte das Amtsgericht am 1.6.1999 für die Beteiligte einen Alleinerbschein.

Mit Beschluss vom 12.7.2000 setzte es den Geschäftswert auf DM 589598,50 fest. Dabei zog es vom Aktivnachlaß Todesfallkosten in Höhe von DM 5296 ab, einen Abzug für Pflichtteilsansprüche lehnte es ab. Auf die Beschwerde der Beteiligten hat das Landgericht den Geschäftswert auf DM 442198,88 mit der Begründung festgesetzt, dass die Pflichtteilsansprüche abgezogen werden müßten. Dass Pflichtteilsansprüche bislang nicht geltend gemacht worden seien, schließe den Abzug nicht aus. Selbst wenn man der Auffassung folge, dass bei Vorliegen von "sicheren Anhaltspunkten" für die Nichtgeltendmachung von Pflichtteilsansprüchen ein Abzug unterbleiben könne, sei kein anderes Ergebnis vertretbar. Dass die Abkömmlinge Pflichtteilsansprüche nicht geltend machen würden, um ihr gesetzliches Erbteil nicht zu gefährden, sei allenfalls eine Vermutung, begründe aber keine "sicheren Anhaltspunkte" für die Nichtgeltendmachung.

Dagegen wendet sich der weitere Beteiligte mit der vom Landgericht zugelassenen weiteren Beschwerde. Er ist der Auffassung, Pflichtteilsansprüche seien nicht abzuziehen, weil "sichere Anhaltspunkte" dafür vorlägen, dass sie nicht geltend gemacht würden. Dies folge aus der Klausel, wonach die Pflichtteilsberechtigten bei Geltendmachung des Pflichtteils den Überlebenden nicht beerbten. Gegebenenfalls könne in solchen Fällen das Pflichtteilsrecht nur mit einem Bruchteil seines Nennwertes angesetzt werden.

II.

Das zulässige Rechtsmittel (§ 31 Abs. 3 Satz 1, § 14 Abs. 3 Satz 2, 4 KostO) hat in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

1. Gemäß § 107 Abs. 2 KostO ist für die Bewertung eines Erbscheinserteilungsverfahrens der Wert des nach Abzug der Nachlaßverbindlichkeiten verbleibenden reinen Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls maßgebend. Pflichtteilsansprüche sind wertmindernd zu berücksichtigen unabhängig davon, ob sie im Zeitpunkt der Erteilung des Erbscheins schon geltend gemacht worden sind oder nicht und ob sie überhaupt geltend gemacht werden. Darüber gibt es in Rechtsprechung und Literatur keinen Streit (vgl. BayObLGZ 1975, 244/252; Korintenberg/Lappe KostO 14. Aufl. § 107 Rn. 32; Mümmler Anm. zu OLG Düsseldorf JurBüro 1991, 93/94 und Göttlich/Mümmler KostO 13. Aufl. Stichwort Erbschein Rn. 3.13). Meinungsverschiedenheiten bestehen lediglich bei der Frage, ob ein Pflichtteil auch dann abzusetzen oder gemäß § 30 Abs. 1 KostO nur mit einem Bruchteil seines Nennwertes anzusetzen ist, wenn bereits bei der Erteilung des Erbscheins "sichere Anhaltspunkte" dafür vorhanden sind, dass er nicht geltend gemacht wird (bejahend Korintenberg/Lappe aaO; Mümmler aaO; Göttlich/Mümmler aaO). Als solcher Anhaltspunkt wird vor allem die in einem gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag angeordnete, aus der Geltendmachung des Pflichtteils entstehende Benachteiligung der Pflichtteilsberechtigten beim Folgeerbfall "Strafklausel"; vgl. auch Palandt/Edenhofer § 2269 Rn. 13 ff.) angesehen. Nach Auffassung der genannten Autoren würde der Kostenschuldner in einem solchen Fall einen nicht gerechtfertigten finanziellen Vorteil erhalten. Die Rechtsprechung (OLG Köln Rpfleger 1988, 25/26; OLG Düsseldorf JurBüro 1991, 93/94; ebenso Rohs/Wedewer KostO 3. Aufl. § 107 Rn. 27) berücksichtigt hingegen Pflichtteilsansprüche auch in solchen Fällen in vollem Umfang wertmindernd. Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.

a) Der Wortlaut des § 107 Abs. 2 Satz 1 KostO ist insoweit eindeutig. Maßgebend für die Festsetzung des Geschäftswerts im Erbscheinserteilungsverfahren ist der Wert, der nach Abzug der Nachlaßverbindlichkeiten vom Aktivnachlaß verbleibt. Gemäß § 1967 Abs. 2 BGB gehören zu den Nachlassverbindlichkeiten auch die Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten.

b) § 107 Abs. 2 KostO stellt allein auf die rechtliche Verpflichtung des Erben zur Erfüllung einer Verbindlichkeit ab. Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen Verpflichtungen, die erfüllt werden, und solchen, die zwar bestehen, aber nicht erfüllt werden, etwa weil der Berechtigte seinen Pflichtteil nicht geltend macht. Eine solche Differenzierung wird nur bei Pflichtteilsansprüchen vertreten. Obwohl es auch bei allen anderen Nachlaßverbindlichkeiten denkbar ist, dass der Gläubiger sie nicht geltend macht, wird dort nicht bezweifelt, dass bereits das bloße Bestehen der Verbindlichkeit den Abzug bei der Wertberechnung rechtfertigt (OLG Köln Rpfleger 1988, 25/26).

c) Ein ausreichender Grund, Pflichtteilsverbindlichkeiten anders zu behandeln als sonstige Nachlassverbindlichkeiten besteht nicht.

aa) Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung gebieten eine dahingehende einschränkende Auslegung des § 107 Abs. 2 KostO nicht. Zwar trifft es zu, dass Pflichtteilsansprüche häufiger nicht geltend gemacht werden, während dies bei sonstigen Nachlaßverbindlichkeiten eher die Ausnahme sein dürfte. Dieser Umstand war aber bereits bei Inkrafttreten der Kostenordnung im Jahr 1935 bekannt. Nach Einschätzung des Senats haben die Fälle, in denen der Pflichtteil nicht geltend gemacht wird, keinesfalls zugenommen. Die Hemmschwelle, nahe Familienangehörige nach einem Erbfall in Anspruch zu nehmen, ist eher niedriger geworden. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gesetzgeber der KostO die Zurückhaltung bei der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen nicht erkannt hat. Wenn er gleichwohl davon abgesehen hat, Pflichtteilsverbindlichkeiten anders zu behandeln als sonstige Nachlaßverbindlichkeiten, so ist dies hinzunehmen.

bb) Es mag sein, dass derjenige, der bestehende Pflichtteilsansprüche im Ergebnis nicht erfüllen muß, günstiger gestellt wird als derjenige, der sie erfüllt. Dies steht jedoch einer Gleichbehandlung beider Fallgestaltungen im Rahmen der kostenrechtlichen Nachlaßbehandlung nicht entgegen. Denn diese ist durch vernünftige Gründe (BVerfGE 90, 226/239) gerechtfertigt.

Dafür sprechen zum einen Gründe der Rechtssicherheit. Maßgebend für die Bewertung ist der Zeitpunkt des Erbfalle (§ 107 Abs. 2 Satz 1 KostO). Pflichtteilsansprüche verjähren in drei, unter Umständen sogar erst in dreißig Jahren (§ 2332 Abs. 1 BGB). Erst dann steht fest, dass der Erbe die Ansprüche nicht mehr erfüllen muß. Eine Prognose zur Geltendmachung der Ansprüche über einen Zeitraum von mehreren Jahren ist problematisch. Auch wenn sich der Pflichtteilsberechtigte zunächst gegen die Geltendmachung entscheidet, kann eine Veränderung der wirtschaftlichen Situation oder der persönlichen Beziehungen zwischen Berechtigtem und Verpflichtetem jederzeit einen Meinungsumschwung veranlassen. Demgegenüber gewährleistet die hier vertretene Auffassung Rechtssicherheit bei der Ermittlung des Geschäftswerts und vermeidet nachträglich Korrekturen mit entsprechenden Erstattungsansprüchen.

Zum anderen ist bei Bewertungen nach § 107 Abs. 2 KostO zu berücksichtigen, dass sie bei Gericht in großer Zahl anfallen und zunächst dem Kostenbeamten im Rahmen des Kostenansatzes obliegen. Die Ermittlung des Nachlaßwerts darf deshalb nicht unnötig kompliziert werden. Dem trägt es Rechnung, wenn entsprechend dem Gesetzeswortlaut Pflichtteilsansprüche bei der Bewertung des Nachlasses unabhängig von ihrer voraussichtlichen Geltendmachung berücksichtigt werden.

2. Eine Entscheidung über die Kosten ist nicht veranlasst (§ 31 Abs. 3 Satz 2, 3 KostO).

Ende der Entscheidung

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